Woran erkenne ich eine gute Karateschule?

In der Schweiz buhlen unzählige Schulen um die Gunst der Kampfkunst- und Kampfsport-Fans. Die Begeisterung der Kinder ist schnell entflammt - Eltern sind mit der seriösen Auswahl einer guten Karate-Schule aber oft überfordert und wählen zu schnell das Dojo um die Ecke. Worauf man achten sollte und woran du eine gute Karate-Schule erkennst, erfährst du in diesem Beitrag.
Karate Teamkata - Wikipedia

Angebote der Karateschule

«Traditionelles Karate», «Strassenkampf» und «Wettkampftraining» sind nur einige Stichworte, die sich auf den diversen Dojo-Webseiten finden lassen und Besucher anlocken sollen. Als Laie klingt das alles toll, aber was sind wirklich die Unterschiede? Woran erkenne ich eine gute Karateschule? Als Kampfsport- oder Kampfkunstschule sollte man meinen, dass man dort das kämpfen lerne. Schulen setzen aber durchaus unterschiedliche Schwerpunkte:

Ein «traditionelles Dojo» legt meist den Schwerpunkt auf Grundschule und Formen (Kata) in anwendungsbezogener Form (Bunkai). Zeremonielle Aspekte werden als wichtig erachtet. Im Verständnis vieler schliesst dies oft eine Teilnahme an Wettkämpfen aus. Das gleiche kann für eine beworbene, «realistische Selbstverteidigung» gelten, die Turnierteilnahmen als «unrealistische Übung»klassifizieren. Schliesslich habe man im Kumite-Turnier Faustschützer an und die präsentierte Kata seien nur Show, die den Sinn und Zweck des Erfinders verfehlten.

Für Erwachsene mag diese Klassifizierung eine veritable Hilfe sein, im Entscheid, welches Dojo man besuchen möchte. Wer möchte mit 35 schon noch auf Turniere… wer hingegen Selbstverteidigung erlernen möchte, sollte sich durchaus nicht scheuen, den Lehrer nach persönlichen Erfahrungen zu fragen. Denn nichts ist gefährlicher als Pseudo- oder Halbwissen in bedrohlichen Situationen.

Für Eltern (oder besser deren Kinder) ist die Spezialisierung einer Schule durchaus schwieriger: Man weiss schlicht nicht, was das fünfjährige Kind in ein paar Jahren speziell trainieren möchte: Hat es Spass an Wettkämpfen? Wenn ja, Kumite? Kata? Hat es überhaupt Talent? Möchte es lieber allein oder in der Gruppe «performen»? Oder doch lieber Anwendungen für die eigene Selbstverteidigung üben? Ein Dojo, das von vornherein Disziplinen, die alle ihre Berechtigung haben, ausschliesst, kann im Entwicklungsverlauf des Kindes zum Stolperstein werden: «Ihre Tochter hat Talent, aber wir unterstützen Wettkämpfe leider nicht.» Schade.

Umgekehrt gilt natürlich das gleiche: Schulen, die nur mit Pokalen, Medaillen und Turnierteilnahmen glänzen, offenbaren dadurch ihren, vielleicht einseitigen, Schwerpunkt. Und legen wohlmöglich weniger Wert auf eher traditionelle Aspekte.

Die Lösung: Sprich den Schulleiter oder Dojo-Leiter direkt darauf an. Was sind die Schwerpunkte des Dojos, werden Kinder für Turniere gefördert, ist dies freiwillig oder gibt es Zwänge? Gibt es Talentförderprogramme oder betreibt das Dojo ausschliesslich Breitensport? Lässt der Lebenslauf des Lehrers plausible Rückschlüsse auf erprobtes Fachwissen im Bereich Self Defense zu?

Zertifizierungen

Kaum ein Dojo hat sie nicht: Zertifizierungen. Es gibt unglaublich viele Institutionen, Verbände und Organisationen, die ihrerseits Dojos zertifizieren – nach den unterschiedlichsten Kriterien. Was sicher anfänglich gut gemeint war, wirkt inzwischen leider durch deren unüberschaubare Anzahl oft inflationär: Sie sinken im Wert, weil sie jede Schule besteht und eine Unterscheidung des Angebots damit nicht wirklich erleichtert wird.

J+S: Wichtig für eine gute Karateschule. Wir sind dabei.
Wichtig: Die Karateschule sollte vom J+S des BASPO anerkannt und die Trainerinnen und Trainer zertifiziert sein.

Klar ist: Man sollte seriöse Angebote von unseriösen unterscheiden. Dabei hilft einerseits eine Anerkennung bei Jugend und Sport (J+S). J+S-Dojos verpflichten sich auf gewissen Standards im Kinder- und Jugendsport. Frage daher im Dojo nach, welche J+S-Kurse die Leiter absolviert haben.

Weiterhin wichtig ist, dass das Dojo einem anerkannten Verband angehört, der Standards für die technische Ausbildung etabliert hat. In der Schweiz gibt es aktuell sechs dieser Verbände, die sich im Schweizerischen Karateverband zusammengeschlossen haben. Auch hier gilt: Genau prüfen, ob das Logo auf der Website nur aus Marketingzwecken prangt, oder das Dojo wirklich im Verband als aktives Mitglied gelistet ist. Dies hat den Vorteil, dass erlangte Graduierungen bei Dojo-Wechsel anerkannt bleiben.

Was für Zertifizierungen immer gilt: Sie zu besitzen bedeutet nicht, dass nach ihnen gelebt und unterrichtet wird. Trainer sollten offen über ihre Ausbildungsstandards sprechen und diese auch alltäglich anwenden, nicht nur im Probetraining. Die didaktische Qualität sollte mindestens gleich hoch bewertet werden, wie das Fachwissen der Lehrer. Denn was bringt es, wenn der Lehrer über enormes Fachwissen verfügt, alle Zertifizierungen durchlaufen hat, aber im täglichen Umgang keinerlei oder mangelhaftes didaktisches Fingerspitzengefühl aufweist – gerade im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.

Schwarzgurte

Ein Schwarzgurt ist kein Qualitätsmerkmal. Please repeat. Und jetzt alle 🙂

Die Graduierungen, die durch die Japanisierung des Karate eingeführt worden sind, stellten ursprünglich nur ein Mittel zur didaktischen Gruppierung von Schülern dar. «Gelb und orange nach links, grün und blau nach rechts.» Schülerinnen und Schüler mit ähnlichem, technischen Niveau können gruppiert und zielgruppengerecht unterrichtet werden. Innerhalb einer Schule.

Spinal Tap: These go to eleven!
Ist 11 besser als 10?

Leider folgte daraus der Irrglaube, die Farbe eines Gürtels liesse Rückschlüsse auf Dojo-übergreifende Leistungsstandards zu. Ganz im Gegenteil lässt sie aber nur Annahmen über das Niveau eines Schülers innerhalb einer Schule zu, selbst wenn Prüfungsordnungen verbandsweit geregelt sind. Denn es ist meist Angelegenheit der Schule zu entscheiden, wer welche Prüfung besteht und wer nicht.

Daher empfehlen wir die Dan-Grade der Lehrer nicht überzubewerten (wir geben sie bei uns gar nicht mehr an). Sie verführen Interessenten und Lehrer (!) zum Irrglauben, 11 sei besser als 10. Stattdessen kann die Qualität besser eingeschätzt werden, indem man an einem Probetraining teilnimmt und die technische sowie didaktische Qualifikation am eigenen Leib wirken lässt. Wie reagiert eine Lehrerin oder ein Lehrer auf Fragen? Wird Technik präzise demonstriert oder nur verbal theoretisiert? Folgt der Lehrer seinen eigenen Beispielen? Bereitet er den Unterricht sorgfältig vor oder improvisiert er dauerhaft? Doziert er oder leitet er zum Training an? Macht er sich selbst «die Finger schmutzig» oder lässt er immer andere vorzeigen?

Natürlich bedeutet dies nicht, dass ehrlich und ernsthaft erarbeitete Dan-Grade nicht ihren Wert hätten. Er ist nur nicht objektiv bemessbar. Gerade kürzlich gab es in Deutschland wieder einen Negativfall eines Scharlatans, der offensichtlich gefälschte Grade und Diplome als Werbemittel einsetzt. Also immer wachsam bleiben. Auf der Seite des Schweizerischen Karateverbands wird eine Liste aller registrierten Dan-Grade gepflegt. Im Zweifelsfall kann man diese bei der Recherche zur Hilfe ziehen.

No Go’s

Während vieler der obig genannten Kriterien für jeden Dojo-Suchenden selbst zu beurteilen und einzuschätzen sind, je nach der eigenen Vorstellung, der angestrebten Ziele und passender Kriterien, gibt es ein paar unverrückbare No Go’s. Dazu zähle ich folgende Klassiker:

  • Zu grosse Klassen oder Kurse mit zu wenig Ausbildern. Dazu zählt auch ganz allgemein Unterricht, der nicht zielgruppengerecht vorbereitet und durchgeführt wird. Die Bedürfnisse eines Kindes sind jenen von Erwachsenen oder gar Senioren völlig verschieden und können nicht in der gleichen Klasse qualitativ hochwertig befriedigt werden. Ein Dojo, dass Kinder mit Erwachsenen zusammen trainieren und üben lässt, arbeitet nicht entsprechend den Grundsätzen des J+S sondern optimiert Kosten.

  • Indiskutabel wird es auch, wenn Trainerinnen und Trainer körperliche oder psychische Gewalt als Trainings-«Methode» für sich entdeckt haben. Gerade im Kampfsport ist es einfach, derartige Übergriffe zu tarnen. Wer dies am eigenen Leib erfährt oder Zeuge derartiger Gebaren wird (z.B. weinende Schülerinnen oder Schüler im Training), sollte dies unbedingt melden. Dazu gehört auch despotisches Führungsverhalten ganz allgemein, von zweifelhaften Sensei und Grossmeistern, die sich durch die Erniedrigung ihrer Schülerinnen und Schüler selbst aufzuwerten versuchen und – meist geschickt getarnt – die Werte des Karate missbrauchen, um Unterwürfigkeit und militärischen Gehorsam als Teil japanischer «Philosophie» einzufordern. Professionelle Dojos richten sich hier nach der Ethik-Charta vom BASPO und Swiss Olympic. Sie bilden neutrale Kontaktpersonen aus, um Meldungen von körperlicher und psychischer Gewalt sowie sexueller Übergriffe seriös entgegenzunehmen.

  • Schliesslich noch der Klassiker schlechthin: das liebe Geld. Leider ist auch im Karate-Umfeld immer wieder einmal von schwarzen Schafen zu hören, die Karate-Pässe fälschen, selbst Lizenzmarken drucken, J+S-Fördergelder veruntreuen oder ganz allgemein das Dojo eher als Geld-Investition ansehen. Dies als aussenstehender Interessent zu durchschauen wird wohl kaum möglich sein. Dennoch sollte man hellhörig werden, wenn ein paar Kreative auf immer wieder auf neue Ideen kommen, Geld aus den Taschen ihrer «Kunden» zu ziehen. Lies die Statuen des Vereins oder erfrage die AGB der Schule. Gibt es eine Datenschutzerklärung? Was sind die Kündigungsfristen und welche Leistungen sind im jährlichen Beitrag inkludiert, welche werden separat verrechnet? Dies sollte man unbedingt vor Abschluss des Vertrages klären.

Zusammenfassung

Nur nichts überstürzen. Nur weil das nächste Dojo gleich um die Ecke ist, deren Leiter den 11. Dan hat und die Wände mit Zertifizierungen und Diplomen tapeziert sind, muss es trotzdem nicht ‹dein› Dojo sein. Der persönliche Bezug zu den Menschen im Dojo, die Atmosphäre, die Dojo-Spezialisierung, die gelebte Kultur – all das sind wichtige Aspekte, die es genau zu prüfen gilt. Dabei sollte man sich lieber etwas mehr Zeit nehmen, denn schliesslich wird man Karate nicht nur ein paar Monate, sondern oft (hoffentlich!) viele Jahre trainieren. Persönliche Eindrücke brauchen Zeit. Jedes professionelle Dojo bietet die Möglichkeit, an mehreren Probetrainings teilzunehmen. Das bietet auch Gelegenheit, sich mit den Schülerinnen und Schülern auszutauschen, beispielsweise nach dem Training oder in Pausen.

Wer aktiv nach einem Dojo sucht, das kompatibel zu den eigenen Werten, Normen und Vorstellungen ist, wird sicherlich fündig werden. Die Suche lohnt sich!

Liebe Grüsse
Stephan

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