Vom Anfänger zum Karate-Meister mit dieser bewährten Methode! Das Konzept stammt ursprünglich aus der Lehre des legendären Tee-Meisters Sen no Rikyu aus dem 16. Jahrhundert. Es wird oft mit folgender poetischer Aussage zusammengefasst:
„Nachahmen, brechen, darüber hinausgehen – und niemals die Essenz vergessen.“
Doch was bedeutet das konkret für dein Karate-Training – und warum ist ShuHaRi nicht nur für Kampfkunst, sondern für jede Form des Lernens entscheidend?

Die drei Stufen des ShuHaRi
1️⃣ Shu (守) – Bewahren & Nachahmen
In der ersten Phase des Lernens geht es darum, die Technik exakt nachzumachen – ohne zu hinterfragen. Die Regeln sind fest, es gibt keine Kreativität oder individuelle Anpassung.
💡 Beispiel aus dem Karate: Wenn du eine Technik wie Age Uke (aufsteigende Abwehr) lernst, führst du sie genau so aus, wie dein Sensei es zeigt – Schritt für Schritt, ohne eigene Interpretationen. Ähnlich wie beim Autofahren: Zu Beginn konzentrierst du dich ausschliesslich auf die Abläufe – Kuppeln, Schalten, Lenken – ohne Variationen.
🧠 Wissenschaftlicher Bezug: Studien zur Motorik zeigen, dass Wiederholung essenziell ist, um Bewegungen zu automatisieren. Dieses Prinzip nennt sich Langzeitpotenzierung – je öfter du eine Bewegung machst, desto effizienter wird dein Nervensystem darin.
🏆 J+S Lernstufe: Diese Phase entspricht der ersten J+S-Lernstufe „Erwerben & Festigen“. Anfänger sammeln möglichst viele Bewegungserfahrungen – oft unter erleichterten Bedingungen. Das sorgt für ein tiefes Bewegungsverständnis.
2️⃣ Ha (破) – Variieren & Hinterfragen
Sobald die Grundlagen verinnerlicht sind, beginnt die zweite Phase. Hier geht es darum, bestehende Regeln zu hinterfragen und Techniken an individuelle Stärken und Schwächen anzupassen.
💡 Beispiel aus dem Karate: Jetzt beginnst du, Age Uke aus anderen Perspektiven zu betrachten. Ist sie nur eine Blocktechnik – oder kann sie auch als Hebel, Konter oder Wurf eingesetzt werden?
🎯 Neuroplastizität & Lernen: Das Gehirn lernt nicht nur durch Wiederholung, sondern auch durch Variation. Die zweite J+S-Lernstufe „Anwenden & Variieren“ fördert gezielt diese Anpassungsfähigkeit.
3️⃣ Ri (離) – Transzendieren & Kreieren
Die letzte Stufe beschreibt die völlige Verinnerlichung. Regeln sind nicht mehr bewusst notwendig, da sich das Wissen so stark verankert hat, dass die Bewegungen instinktiv werden.
💡 Beispiel aus dem Karate: Ein erfahrener Karateka führt Age Uke nicht mehr als bewusst gewählte Technik aus – sie passiert einfach, passend zur Situation. Er denkt nicht mehr darüber nach, ob es eine Blocktechnik oder ein Konter ist – er IST die Technik.
🔬 Flow & Expertenintuition: In dieser Phase arbeitet das Gehirn in einem Flow-Zustand. Bewegungen laufen automatisch und mühelos ab. Deshalb wirken Karate-Meister so fliessend und natürlich.
🏆 J+S Lernstufe: Diese Phase entspricht der dritten J+S-Stufe „Gestalten & Ergänzen“. Hier geht es um die individuelle Perfektion und freie Anwendung.
Das YouTube-Video zum Blog-Post «ShuHaRi»
Du hast keine Lust zu lesen? Kein Problem, schau dir einfach unser Video dazu auf YouTube an!
ShuHaRi ist kein linearer Prozess – sondern ein Zyklus
Jedes Mal, wenn du eine neue Technik lernst, durchläufst du den Zyklus von ShuHaRi erneut. Auch im Alltag und Beruf zeigt sich dieses Prinzip immer wieder:
- Ein Musiker beginnt mit Noten (Shu), variiert Melodien (Ha) und spielt schliesslich frei aus dem Gefühl (Ri).
- Im Berufsleben erlernt ein Mitarbeiter zunächst feste Prozesse (Shu), optimiert sie mit Erfahrung (Ha) und entwickelt schliesslich innovative Lösungen (Ri).
- Das Prinzip ist sogar in der japanischen Business-Philosophie Kaizen zu finden – der kontinuierlichen Verbesserung durch kleine, tägliche Anpassungen.
ShuHaRi als Schlüssel zur besseren Trainingsmethodik
Nicht nur Lernende profitieren von ShuHaRi – auch Trainer:innen und Lehrer:innen können mit diesem Konzept ihre Methodik anpassen:
- Shu-Schüler:innen brauchen klare Anweisungen & Wiederholungen.
- Ha-Schüler:innen brauchen herausfordernde Variationen & neue Reize.
- Ri-Schüler:innen brauchen Inspiration & maximale Freiheit.
Verstehst du ShuHaRi, kannst du bewusster trainieren – und bewusster lehren.
Konflikte im Karate: Warum ShuHaRi eine Rolle spielt
Oft entstehen Meinungsverschiedenheiten im Karate-Training genau aus den Stufenunterschieden von ShuHaRi.
Typischer Konflikt: Ein Schüler in der Shu-Phase sagt: „Das funktioniert so nicht!“ – dabei betrachtet er die Technik aus einer anderen Perspektive als jemand in Ha oder Ri.
- Shu-Schüler halten sich strikt an Regeln und empfinden Variationen als Fehler.
- Ha-Schüler hinterfragen alles und wundern sich, warum andere so starr an Vorgaben festhalten.
- Ri-Schüler bewegen sich frei und sehen Struktur als etwas, das man anpassen kann – was von anderen als „zu kreativ“ empfunden wird.
💡 Erkenntnis: Wer ShuHaRi versteht, versteht auch diese Konflikte besser. Diskussionen sind oft keine absoluten Wahrheiten, sondern spiegeln den Entwicklungsstand des Einzelnen wider. Trainer:innen und Dojo-Leiter:innen profitieren enorm davon, sich dieser Dynamik bewusst zu sein!